Sonntag, 21. Juni 2015

Einschätzung der Polizeiarbeit im Rahmen der Kundgebung von Widerstand Ost-West und den Gegenprotesten im Gebiet der Frankfurter Innenstadt am 20.06.2015

Am Samstag den 20.06.15 hatte das Bündnis „Widerstand Ost West“(WOW), eine Gruppe von Rechtspopulisten, gewaltbereiten Hooligans und extremen Rechten zu einer Demonstration in der Frankfurter Innenstadt aufgerufen. Wir waren natürlich auch in der Frankfurter Innenstadt präsent, um den Einsatz der Polizei zu begleiten. Vorab ist zu sagen, dass auch wir teilweise Opfer von Polizeigewalt waren und durch den Einsatz von Pfefferspray anlasslos verletzt wurden. Zudem konnten wir natürlich nicht überall sein und erheben daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit in unserer Darstellung, haben jedoch alle Informationen, die wir nachfolgend veröffentlichen, geprüft.

Impressionen des Tages
Begonnen hat der Tag für uns mit der Dokumentation von diversen Personenkontrollen seitens der Polizei an angemeldeten Kundgebungsorten der Gegenproteste. So kam es am Paulsplatz zwanzig Minuten vor der um 10 Uhr beginnenden angemeldeten Kundgebung für ein weltoffenes Frankfurt zu verdachtsunabhängigen Vorkontrollen von einzelnen Personen durch die Polizei.

Die Kundgebung am Paulsplatz begann friedlich und sollte als Demonstrationszug Richtung Berliner Straße gehen. Die Teilnehmer der Gegendemonstration trugen, für eine Demonstration nicht unüblich, ein Transparent an der Spitze der Demonstration. Dieses wurde nach Auffassung der Polizei zu hoch gehalten, und als Vermummung gewertet. Der Demonstrationszug wurde gestoppt, es kam zu ersten Übergriffen durch die Polizei. Im Anschluss daran wurde vom Anmelder der Demonstration mit der Polizei verhandelt, dass das Transparent weiter unten getragen werden solle und die Demonstration den geplanten Weg gehen darf. Nur Augenblicke später griff die Polizei die Demonstration, die sich demgemäß verhielt, an und beschlagnahmte das Transparent – der kommunizierte Kompromiss wurde seitens der Polizei ignoriert.
Danach konnte die Demonstration weiter geführt werden. Die Demonstrierenden gingen über die Berliner Straße zu einer weiteren Kundgebung an der Katharinenkirche an der Hauptwache um 12 Uhr. Parallel dazu gab es eine Kundgebung des Römerbergbündnisses am Goetheplatz.
An der Katharinenkirche kam es zu Übergriffen seitens der Polizei aus für uns nicht ersichtlichen Gründen. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Pfefferspray ein, mehrere Gegendemonstranten wurden verletzt. Warum den Demonstranten das Fortkommen verstellt wurde, war für uns nicht ersichtlich – war der Weg doch eigentlich nicht abgesperrt. Die Polizei forderte die Gegendemonstranten weder auf, sich zurückzuziehen noch teilte sie den Anlass ihres Handelns mit.
Um die ganze, von WOW geplante Demonstrationsroute, die von der Polizei abgesperrt wurde, entstanden sogenannte Blockadepunkte der Gegendemonstranten um WOW an einer Demonstration zu hindern.

Die Polizei war mit großer Präsenz vor Ort. Zwei Wasserwerfer, die an verschiedenen Orten positioniert waren, waren den ganzen Tag über präsent, kamen aber nicht zum Einsatz.
Die Kundgebung des WOWs war nicht nur durch die Gegendemonstranten abgeschirmt, auch das große Polizeiaufgebot schirmte die Versammlung von WOW zusätzlich ab.
Im Laufe der Kundgebung von WOW kam es zu zwei Kesseln von Gegendemonstranten durch die Polizei. Der erste Kessel befand sich in der Junghofstraße. Es wurden ca. 200 Personen von der Polizei festgehalten. Die Polizei drängte alle Personen dazu sich zu „vermummen“ und filmte sie dabei unrechtmäßig. Nur kurz darauf kam es nach einigen hektischen Manövern der Polizei zu einem zweiten, kurzzeitigen Kessel in der Goethestraße. Dort wurden durch das harte Durchgreifen der Polizei zahlreiche Gegendemonstranten verletzt. Mindestens eine Teilnehmerin musste verletzt ins Krankenhaus.
Es gibt Augenzeugenberichte über zahlreiche, nur ungenügend begründete Festnahmen. Teilweise wurden Personen Tatvorwürfe gemacht, die für uns als Beobachter eindeutig im Widerspruch zu ihrem Aufenthaltsort standen. Der Einschüchterungseffekt der von willkürlichen Festnahmen ausgeht, sollte von der Polizei mit bedacht werden – es kann nicht der gewünschte Effekt sein, dass Bürger sich aus Angst vor unbegründeten Festnahmen nicht mehr trauen ihre Demonstrationsfreiheit auszuüben. Da das Demonstrationsrecht vor allem ein Abwehrrecht gegen den Staat bildet, kann dieser Effekt auch nicht mit einem Verweis auf die Wirkung von Gegendemonstrationen auf die Demonstrationsteilnehmer von WOW legitimiert werden.

Als die Kundgebung von WOW beendet wurde und sie sich für eine Demonstration aufstellten, wurde es an der Hauptwache unruhig. Mehrere BFE-Einheiten mischten sich auf der Hauptwache unter die Teilnehmer der Gegendemonstration und sorgten dadurch für ein großes Durcheinander. Diese Maßnahme wirkte in keiner Weise deeskalierend. Aufgrund der zahlreichen Gegenproteste konnten die Teilnehmer von WOW nur wenige Meter innerhalb der Absperrung laufen. Währenddessen haben die Anhänger von WOW mehrfach als Gruppe den Hitlergruß gezeigt und es wurde eine Flasche auf die Gegendemonstranten geworfen. Die Polizei duldete diese Straftaten und schritt nicht ein. Besonders schockiert waren wir von dem Bericht eines Journalisten, der von Teilnehmern des WOW bedroht wurde. Dies stellt einen Angriff auf die Pressefreiheit dar, der auch von der Polizei hingenommen wurde.
Hier ist auch anzumerken, dass die Polizei den Aufzug von WOW auf dem angemeldeten Demonstrationsgebiet der Gegenkundgebung des Römerbergbündnisses ermöglicht hat, das als „Schutzbereich“ mit Gittern umstellt war.. Warum der Aufzug von WOW Vorrang vor einer angemeldeten Kundgebung des Römerbergbündnisses hat, wurde uns nicht klar und konnte uns auf Nachfragen auch von den Polizeikräften vor Ort nicht erklärt werden.
Über den Tag verteilt, wurden immer wieder über kleinere Gruppen gewaltbereite Hooligans berichtet, die in der Stadt unterwegs waren. Trotz Polizeikräften vor Ort kam es zu Übergriffen durch ebendiese in der B-Ebene der Hauptwache.

Einschätzungen zum Vorgehen der Polizei

Kommunikationsstrategie
Die Einsatzkräfte der Polizei wirkten den ganzen Tag über sehr nervös. Mit dieser Angespanntheit ist vielleicht auch ihre suboptimale Kommunikationsstrategie gegenüber den Teilnehmern der Gegendemonstration zu erklären. Wiederholt wurden Maßnahmen nicht angekündigt und/oder begründet, Absprachen mit den Anmeldern von Kundgebungen und Aufzügen wurden nicht eingehalten, die Teilnehmer wurden immer wieder unbegründet oder unverhältnismäßig angegangen.
Ein kurzes Schlaglicht soll hier auch auf die Twitter-Tätigkeit der Polizei geworfen werden – friedliche Blockaden, wurden dort als unfriedlich beschrieben. Dies erhöht nicht das Vertrauen der Demonstranten in die Polizei – sie fühlen sich vielmehr nicht ernst genommen. Das Auftreten und vor allem die Kommunikationsstrategie der Polizei, die vieles nicht ankündigte, begründete oder sogar in die Irre führte, hinterlässt ein Gefühl des Misstrauens gegenüber zukünftigen Mitteilungen der Polizeikräfte, das nicht beabsichtigt gewesen sein kann.

Ungleichbehandlungen der Demonstrationen
Auffällig war, dass die Polizei Verstöße der Teilnehmer der Veranstaltung von WOW deutlich unterschiedlich behandelte als die Verstöße der Gegendemonstranten. Das Zeigen von Hitlergrüßen, das Werfen einer Flasche und das Beschimpfen und Bedrohen von Journalisten und den Teilnehmern der Gegendemonstration wäre aus unserer Sicht ein Grund gewesen, diese Versammlung als nicht mehr friedlich einzuordnen. Die Polizei ging aber gegen die ausführenden Personen im Rahmen dieser Versammlung überhaupt nicht vor.
Zudem wurde das Gebiet der Kundgebung des Römerbergbündnisses beschnitten, um dort den Aufzug von WOW innerhalb der Absperrung durchzuführen.
Im Rahmen der Gegenproteste führte bereits ein zu hoch gehaltenes Transparent zu einem massiven Durchgreifen der Polizei. Bei deutlich geringeren Anlässen wurden Personalien festgestellt und der Schlagstock und Pfefferspray eingesetzt. Teilweise löste bereits das Fortbewegen in Gruppen polizeiliche Maßnahmen aus.
Insgesamt ist der Polizeieinsatz gegen die Gegendemonstranten als sehr unkoordiniert, unvorsichtig, gewaltbereit und eskalierend zu bewerten. Ein Anzeichen hierfür sind auch die zahlreichen Verletzten, die wir gesehen haben.
Es wiederholte sich, was wir auch schon zu den Einsätzen im Rahmen der Proteste von „Pegida Rhein-Main“ und den „Freien Bürgern für Deutschland“ geschrieben haben:
Aufgabe der Polizei ist es, die Versammlungsfreiheit aller Bürger zu gewährleisten und auch Gegenprotest zu ermöglichen. Selbstverständlich ist es Aufgabe der Polizei, Demonstrationen vor Angriffen durch Gegendemonstranten zu schützen – dies darf aber nicht so weit gehen, dass der gesamte Gegenprotest kriminalisiert, durch polizeiliche Maßnahmen eingeschüchtert oder erschwert wird.“ (IfDB FfM 02.06.2015)

Maßnahmen der Polizei
Es sollen sich Teilnehmer der Gegendemonstrationen vermummt haben, und es sollen auch Eier geworfen worden sein – dies sind Gründe für polizeiliche Maßnahmen. Jedoch haben die Polizeikräfte jedes Mal ohne Aufforderung oder irgendeine erdenkliche Kommunikationsform direkt mit Gewalt reagiert. Außerdem hat die Polizei konstant die Gegenproteste gefilmt, auch wenn keine konkrete Gefahrensituation bestand.
Der Einsatz der Polizei war sehr hektisch, was sie selbst auch auf Twitter eingestanden haben.
Die Polizei setzte von Beginn an auf den Einsatz von sehr vielen Zivilbeamten. Die eingesetzten Communicators der Polizei waren an Orten, an denen es hektischer zuging nicht vor Ort. Eine Bereitschaft zur Deeskalation war seitens der Beamten nicht ersichtlich.
Wir selbst haben keine körperlichen Übergriffe auf Polizeibeamte beobachtet. Die Polizei hat aber berichtet, dass ein Zivilbeamter angegriffen wurde. Dies wäre natürlich bedauerlich. Gleichzeitig ist der großflächige und für jeden Demonstrationsteilnehmer auch sichtbare Einsatz ebendieser ein ständiges Misstrauensvotum gegenüber den Demonstrationsteilnehmern, der auch einen einschüchternder Effekt erzielt, der engagierte Bürger in Zukunft davon abhalten könnte, sich den Protesten anzuschließen. Der permanente Einsatz von Zivilbeamten, der auch bei friedlichen Demonstrationen unseren Beobachtungen nach aktuell zur Regel geworden ist, sollte von den Polizeikräften nochmals überdacht werden. Dies sendet kein deeskalierendes Signal und gibt den Demonstrationsteilnehmern ein Gefühl der permanenten Beobachtung.
Als ähnlich problematisch erachten wir auch Festnahmen, die nur mangelhaft begründet werden. Tatvorwürfe, die bereits aus den Gegebenheiten der Festnahme heraus offensichtlich widersprüchlich sind, haben einen einschüchternden Effekt ohne der Strafverfolgung dienlich zu sein.

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